Menschlich leben zwischen Hoffnung und Verzweiflung
Gleich zu Beginn des Vortrags „Verantwortung für unsere Zukunft: Menschlich leben zwischen Hoffnung und Verzweiflung“ am 3.12.2023 stellte Prof. Dr. Michael Quante klar: „Die Philosophie liefert keine Rezepte, auch keine moralischen Imperative. Sie kann jedoch Orientierung möglich machen und so zu einer rationalen Diskussion beitragen!“ Die VHS Coesfeld und die Friedensinitiative Nottuln (FI) hatten zu diesem philosophischen Abend im Rahmen ihrer Reihe „Lust auf Zukunft“ eingeladen und der Saal oben in der Alten Amtmannei war gut gefüllt. Ziel müsse es sein, den gesellschaftlichen und auch persönlichen Diskurs, der angesichts der vielen Krisen enorm aufgeladen sei, wieder zu versachlichen, Dialog wieder zu ermöglichen. Wie das gehe? Zunächst nahm Dr. Quante, Philosoph und Rektor der Universität Münster, seine Zuhörerinnen und Zuhörer mit auf eine Exkursion durch die theoretischen Ansätze und Strömungen der großen Philosophen – von Ernst Bloch („Wir haben die Hoffnung zu lernen.“), über Søren Aabye Kierkegaard („Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.“) bis zu Theodor W. Adorno („Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“) Deutlich wurden Muster, die jeden rationalen Diskurs erschweren, unmöglich machen – das Denken in falschen Alternativen („Es gibt nicht nur A oder B, nur Resignation oder Revolution, nur individuelle Lösungen oder die Veränderung des Systems, nur alles oder nichts!“) Und weiter, so Dr. Quante: „Eine rückwärtsgewandte Globalisierungskritik, wissenschaftsfeindlicher Irrationalismus, technikfeindlicher Pessimismus, technologischer Fortschrittsoptimismus und vor allem antiliberaler Demokratieverzicht – das sind völlig untaugliche Optionen für eine rationale Debatte.“ Vier Leitsätze unter der Überschrift „Menschlich leben!“ entwickelte der Philosoph aus seiner bisherigen Analyse für das Gelingen eines verantwortlichen Handelns für die Zukunft. Solidarität: Der Mensch ist als soziales Wesen, das verletzlich und bedürftig ist, auf Solidarität angewiesen. Und in einer globalen Welt muss diese Solidarität auch global sein. Quante: „Es gibt keine deutsche Menschenwürde, sondern nur eine Würde für alle auf der Welt.“ Pluralismus: Die Vielfalt der Meinungen muss als Bereicherung betrachtet werden. Quante: „Ich bin der Meinung, wir sollten Pluralisten sein. Wir sollten in der Koexistenz unterschiedlicher Lebensentwürfe eine Chance sehen, voneinander zu lernen – auch wenn das schwierig und belastend ist.“ Das bedeute, dass wir als Grundtugend in dieser Zeit eine Ambiguitätstoleranz benötigen, die Fähigkeit, Spannungen und Widersprüche auszuhalten. Ohne zu glauben, dass es eine richtige Antwort gibt, mit der man alle Probleme lösen könne. „All das ist kompliziert“, weiß Dr. Quante: „All das setzt stabile Menschen voraus, die ihr Personsein aushalten. Und das geht nur mit der richtigen Erziehung und Bildung. Wir müssen als Gesellschaft dafür sorgen, dass sich junge Menschen als Autoren ihres eigenen Lebens begreifen können, dass sie lernen, solidarisch zu sein, Handlungsperspektiven für sich zu entwickeln, dass sie Wissen und rationales Denken erwerben.“ „Erziehung zur Mündigkeit“, nannte dies Adorno einst. Der große Philosoph der Gegenwart, Jürgen Habermas, hatte das letzte Wort: „Der Horizont der Zukunft hat sich zusammengezogen und den Zeitgeist wie die Politik gründlich verändert. Die Zukunft ist negativ besetzt; an der Schwelle zum 21. Jahrhundert zeichnet sich das Schreckenspanorama der weltweiten Gefährdung allgemeiner Lebensinteressen ab. […] Die Lage mag objektiv unübersichtlich sein. Unübersichtlichkeit ist indessen auch eine Funktion der Handlungsbereitschaft, die sich eine Gesellschaft zutraut. Es geht um das Vertrauen der westlichen Kultur in sich selbst.“ Wer den gesamten Vortrag nachhören und -sehen möchte, kann dies per Videoaufnahme über die Seite der FI Nottuln. www.fi-nottuln.de
Nottuln. „Verantwortung für unsere Zukunft: Menschlich leben zwischen Hoffnung und Verzweiflung“ mit einem Vortrag zu diesem Thema setzen die VHS Coesfeld und die Friedensinitiative Nottuln (FI) ihre Reihe „Lust auf Zukunft“ am Montag, den 4.12.2023 um 19.30 Uhr in Nottuln in der Alten Amtmannei fort. Beide Organisationen sind mit dem bisherigen Verlauf der Reihe gut zufrieden. Gabriele Mense-Viehoff (VHS und FI): „Die drei Vortragsabende lieferten sehr interessante, auch neue Perspektiven – weit über die aktuelle Tagespolitik hinaus. Sie machen den Gästen Mut, in diesen schwierigen Zeiten die Hoffnung nicht zu verlieren. Am Montag kommt Professor Dr. Dres. h.c. Michael Quante, Professor für Praktische Philosophie, Sprecher des Centrums für Bioethik an der Universität Münster sowie Prorektor für Internationales und Transfer der WWU, nach Nottuln. Dr. Quante wird keine gesellschaftliche Analyse vornehmen, sondern aus der Philosophie heraus „stören“, nachdenklich machen. Quante: „All die gegenwärtigen Krisen belasten uns als Gesellschaft, aber auch persönlich. Die Wechselwirkungen zwischen den Krisen sind stark; einfache Rezepte zur Lösung der drängenden Probleme gibt es nicht. Die ethische und politische Forderung, Verantwortung für unsere Zukunft zu übernehmen, lässt sich nicht zurückweisen.“ Unsere Bereitschaft zum eigenen Engagement stehe jedoch unter Druck: „Wir alle kennen das Schwanken zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Entmutigung und Entschlossenheit, kritischem Bewusstsein über die komplexen Probleme und fast naiven Wünschen für eine bessere Welt.“ Der Vortrag wird mit Denkanstößen aus der Philosophie zu einem Gespräch einladen, um unsere eigene Haltung in dieser angespannten Lage gemeinsam zu reflektieren. Das Ziel ist dabei, weder auf Hoffnungen hereinzufallen noch in verzweifelter Handlungsunfähigkeit zu enden. „Denn ohne unser eigenes Engagement werden sich die Herausforderungen der Gegenwart nicht bewältigen lassen“. Ist sich Prof. Dr. Quante sicher. VHS und FI laden zu diesem Vortrags- und Gesprächsabend alle Bürgerinnen und Bürger ein. Der Unkostenbeitrag beträgt 5 Euro.
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