„Ach ja, Nottuln …“
Die Arbeit der Friedensinitiative Nottuln findet viel Beachtung
Diversifizierung der Themen und eine solide Arbeitsstruktur
„Lust auf Zukunft!“
Mutlosigkeit und Verzweiflung
Natürlich gibt es dunkle Zeiten auch in der Friedensinitiative Nottuln – Niedergeschlagenheit, Verzweiflung, Mutlosigkeit…
Wir erinnern noch sehr genau, wie wir mit ein paar Leutchen auf dem Nottulner Markt gegen den Jugoslawienkrieg der Nato demonstrierten. Die Mahnwache fand in der Bevölkerung kaum Resonanz. Natürlich haben uns die Gewalttaten im Kosovo tief verunsichert in unserer Meinung, dass Krieg niemals eine Möglichkeit ist, Konflikte zu lösen. Natürlich macht es mutlos zu sehen, dass wir nicht den Hauch einer Chance haben, den brutalen Krieg in Tschetschenien öffentlichkeitswirksam zu thematisieren. Er ist in der bundesrepublikanischen Gesellschaft kein Thema.
Und was ist, wenn das große Thema Frieden ganz unten auf der politischen Tagesordnung steht? Was tun, wenn „Benzin-Wut“ und Börsenkurse die Menschen umtreiben, nicht aber die zu befürchtende Militarisierung der EU mit ihren weitreichenden Konsequenzen auch für den individuellen Geldbeutel? Wie kann eine Friedensinitiative vor Ort da motiviert ihre Arbeit planen? Woher da die Motivation einer Weiterarbeit nehmen?
Erfolg schafft weitere Motivation
Die Stimmung in der Friedensinitiative Nottuln (FI) ist gut. Seit Jahren arbeitet sie erfolgreich, erfährt lokal und regional eine große Resonanz und Akzeptanz. Wöchentlich, oft täglich, wird über Aktivitäten der FI Nottuln in den lokalen Medien, insbesondere in den Zeitungen berichtet. Nicht immer gleich, aber auf relativ hohem Niveau ist die Teilnahme der Menschen vor Ort, auch der Politik an Veranstaltungen und Aktionen, die die FI vorbereitet und anbietet. Seit 1990 ist die FI Nottuln eingetragener Verein. Seitdem sind über 60 Menschen dem Verein beigetreten und unterstützen durch ihre Mitgliedschaft, aber auch durch Beiträge die Arbeit der FI. Jeden Montag treffen sich um die 11 aktive Mitglieder, um aktuellen Entwicklungen zu diskutieren und um Veranstaltungen und Aktionen vorzubereiten. Die Friedensinitiative Nottuln ist ein fester Bestandteil der Politik vor Ort (so die Bilanz einer Diplomarbeit über die FI) und genießt ein hohes Ansehen. Ihr werden große Kompetenzen zugewiesen.
Wie ist das möglich?
Wie funktioniert das in einer Zeit, in der fast gebetsmühlenartig der Untergang der Friedensbewegung herbeigeredet wird und in der tatsächlich viele lokale Friedensinitiativen schrumpfen oder ganz ihre Arbeit einstellen.
1981 wurde die FI im Zuge des Kampfes gegen den Nato-Doppelbeschluss gegründet. Nach der Niederlage 1983 – Pershing II und Cruise missiles wurden aufgestellt – erholte sich die FI schnell und begann den Blick nach vorne zu richtet. Hilfreich war damals ein Wort von Carl-Friedrich von Weizsäcker:
Nicht Abrüstung bringt Frieden, sondern Frieden führt zur Abrüstung!
Dies war das Signal. Die FI begann sich von der Fixierung auf Raketen und Rüstung zu lösen. Der Begriff „Frieden“ stand zur Diskussion. Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Schnell fand die FI zu einem positiven Friedensbegriff. Ein Resultat der dann folgenden Arbeit war die Initiierung einer Städtepartnerschaft Nottulns mit einer Stadt in Osteuropa. Dieses FI-Projekt wurde ein Erfolg. Seit 1992 existiert nun eine intensiv gelebte Städtepartnerschaft zwischen Nottuln und Chodziez (Polen). Weitere partnerschaftliche Projekte mit Russland, Weißrussland, Tschechische Republik folgten. Mit der Zeit wurde der Blick auch nach Süden gerichtet. Zum Ende der 80er Jahre erfolgte eine weitere Ausdehnung und Ausdifferenzierung des Friedens- und Sicherheitsbegriffes: Sicherheit bedeutet auch eine sichere Umweltzukunft. Frieden heißt auch Frieden mit der Natur. Seitdem existiert als Arbeitsgrundlage für die FI das
Das magische Dreieck: Frieden – Ökologie – Eine Welt.
Den theoretischen Hintergrund lieferte auf einem IPPNW-Kongress Egon Bahr: Ein neues Denken in der Sicherheitspolitik ist gefragt. Es gibt heute und in Zukunft riesige Aufgaben zu lösen, die nur gemeinsam in einem konzertierten weltweiten Engagement anzugehen sind. Gefährliche Entwicklungen müssen gemeistert werden: Wasserknappheit, Verknappung auch aller anderen Ressourcen, Klimaveränderungen, Hunger, Aids … Der Katalog ließe sich weiter fortsetzen. Riesige Konfliktpotentiale liegen in diesen Entwicklungen. Kriege sind deshalb denkbar, vielleicht nicht zu vermeiden. Lösungsansätze sind nicht alleine, national, erst recht nicht gegeneinander, sondern nur miteinander denkbar. Das setzt zivile Zusammenarbeit voraus. Hier liegt eine große Chance der gegenwärtigen Krisen. Aus der Friedensbewegung – so Bahr – muss eine „Überlebensbewegung“ werden.
Die Friedensbewegung – eine „Überlebensbewegung“
Die Friedensinitiative Nottuln setzt diesen theoretischen Ansatz seit einigen Jahren schon um. Nur wenige Beispiele sollen dies verdeutlichen:
FRIEDEN
o Partnerschaften mit Friedensgruppen in Osteuropa
o Diskussion der Entwicklung der Bundeswehr
o Partnerschaft mit einem Projekt Ziviler Friedensdienst (Forum Ziviler Friedensdienst)
o Hiroshima-Gedenken am 8. August
o Anti-Kriegstag-Gedenken am 1. September
o Gemeinde Nottuln mit dem Bürgermeister als Mayor for Peace
o Konstruktion des „Nottulner Friedensweges“
o Jedes Jahr – Ostermarsch Kreis Coesfeld
o Runder Tisch gegen Gewalt
o Demonstrationen gegen das US-Waffenlager Tower Barracks in Dülmen
..
Umwelt
o Anti-Castor-Arbeit (BEZ Ahaus)
o Solarinitiativen: Installation von Solarkollektoren und Solarzellen auf Dächern in
Nottuln und Umgebung
o Verkehrspolitik: Kampagne für eine autofreie City Nottuln, Werbeaktionen für eine
Verkehrspolitik „Fahrrad-Vorrang“
o Etablierung von CarSharing in Nottuln
o Engagement für den Ausbau regenerativer Energie – vor allem Windenergie
o Aktion: 2030 – Nottuln ist klimaneutral
o Earth Hour
o Tschernobyl-Fukushima-Gedenken
Eine Welt
o Koordination und Initiative für einen Zusammenschluss der Eine-Welt-Gruppen in Nottuln
o Projekte in Brasilien, Afghanistan, Syrien, Kongo, …
o Förderung des Verkaufs von Transfair-Produkten (in Kooperation mit einem
Edeka-Markt in Nottuln)
Ein hervorragendes Beispiel einer Arbeit, die diese drei Bereiche nicht nur abdeckt, sondern auch strukturell verbindet, ist die bundesweite Genossenschaft „Fairplanet“, die die FI im Rahmen der neuen Organisation „SNOW“ mitentwickelt und seit vielen Jahren sehr erfolgreich arbeitet.
Darüber hinaus hat die große Bandbreite der Themen – immer war auch die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und mit neonazistischen Entwicklungen der Gegenwart dabei, in letzter Zeit beschäftigt uns auch zunehmend die Arbeitsmarktpolitik und Wirtschaftspolitik – (Gemeinwohlökonomie)
Mit der Volkshochschule organisiert die FI zusammen ein Zukunftsseminar „Lust auf Zukunft“. Wir laden Menschen ein, die in diesen schwierigen Zeiten nicht den Mut verlieren, sondern engagiert neue Wege aus der Gefahr suchen und referieren.
Eine Initiative vor Ort:
Diversifizierung der Themen
o sichert eine große Kontinuität. Unsicherheiten, Niederlagen, keine Resonanz bei einem der Themen (siehe oben) schmeißt uns nicht aus der Bahn. Die Gesamtheit der Arbeit bleibt weiter erfolgreich. Kompensation ist schnell möglich.
o Die große Bandbreite spiegelt schlichtweg das Leben wieder und ist spannend. Menschen, die von einem der Themen angesprochen werden, kommen zur FI, lernen diese kennen und entwickeln dann häufig auch Interesse an den anderen Themen.
Diese Art intensiver Arbeit ist nur möglich, wenn die Arbeitsbedingungen und -strukturen stimmen.
Solides finanzielles Fundament
Die Arbeit ist auf ein – auch finanziell – solides Fundament gestellt worden. Grundlage ist der eingetragene Verein, den viele Menschen, die nicht regelmäßig mitarbeiten wollen oder können, durch Mitgliedschaft und Spenden unterstützen. Die FI Nottuln muss so nicht bei jedem Plakat, bei jedem Referenten überlegen, wie diese finanziert werden können. Der wöchentliche Treff ist unbedingt notwendig. Nur so kann die Arbeit lebendig und intensiv sein – erfolgreich sein. Und nichts ist bekanntlich erfolgreicher als der Erfolg.
Offene Diskussion über alle Themen und Positionen
Von Anfang an gibt es in der FI-Arbeit keine Tabus. Offensiv und kontrovers wird auch über „heilige Kühe“ wie Pazifismus oder Krieg als ultima ratio diskutiert. Offensiv wird auf alle Organisationen zugegangen: Immer wieder wird die Bundeswehr eingeladen. Dass dieser in der FI ein Forum geboten wird, haben zum Beispiel andere Friedensgruppen uns übelgenommen. Sie blieben Veranstaltungen der FI fern. Auch auf politische Parteien, die qua Position zunächst mal politische Gegner sind (CDU), ist die FI immer offensiv zugegangen – auch nach Gemeinsamkeiten Ausschau haltend. Diese wurde immer auch wieder gefunden.
Vernetzung im Ort und in der Region und in der Republik
Lokal
Fruchtbar und tragend ist die starke Vernetzung der FI. Auf lokaler und regionaler Ebene hat die FI diese Vernetzung immer wieder initiiert und vorangetrieben. In Nottuln selbst hat die FI es in den vergangenen Jahren geschafft, viele Organisationen an einen Tisch zu bekommen um gemeinsam Projekte zu starten: das Partnerschaftskomitee für Städtepartnerschaft, die Tschernobyl-Initiative, die jedes Jahr Kinder aus verstrahlten Gebieten nach Nottuln einlädt, der Runde Tisch gegen Gewalt, der Aktionskreis Joao Pessoa, der die Eine-Welt-Arbeit in Nottuln trägt und koordiniert, die Aktion Lebendige City, die für eine autofreie Innenstadt von Nottuln kämpft.
Regional
Auch regional war diese Arbeit erfolgreich. In den frühen Jahren hat die FI die Anti-Tiefflugarbeit im Münsterland koordiniert. Auf Kreisebene war es die FI Nottuln, die die Arbeit der Friedensgruppen im Kreis Coesfeld vernetzte. Das Projekt aus vergangenen Jahren: die Regionalgruppe Münsterland „Ziviler Friedensdienst“, die in Kooperation mit dem Forum Ziviler Friedensdienst (FZFD) ein Projekt in Serbien partnerschaftlich begleitet und unter anderem so im Münsterland für diesen dritten Weg zwischen Wegschauen und rein militärischen Reaktionen warb.
Bund
Auf Bundesebene ist die FI Nottuln über das Netzwerk Friedenskooperative mit vielen anderen Organisationen vernetzt. Gegenseitige Unterstützung und viele gegenseitig gesetzte Impulse bereichern die Arbeit und treiben sie voran. Engagiert arbeitet die FI auch in der Kooperation für den Frieden mit. Auch in weiteren zahlreichen anderen Initiative – Aktion Aufschrei. Seit 2010 ist die FI Teil der neuen bundesweiten Initiative „Sicherheit neu denken!“
Wichtig ist auch der enge Kontakt zu den Bundestagsabgeordneten vor Ort. In Zeiten, in denen keine Menschenmassen zu bewegen sind, keine großangelegten Demonstrationen angezeigt sind, ist die Lobbyarbeit sehr wichtig. Viele Briefe wandern zwischen Berlin und Nottuln hin und her. Exakte und detaillierte Informationen aus Bundestag und Ministerien fundieren die Arbeit der FI. Stellungnahmen, Unterschriften und Kommentare erreichen die Bundestagsabgeordneten, die in der Regel notiert, manchmal auch zur Diskussion in Arbeitsgruppen und gar Fraktionen weitergeleitet werden. Ein kleines Stückchen Einflussnahme auf die große Politik.
Politik muss ein Erlebnis sein. Spaß an der Arbeit und Zusammenhalt in der Gruppe
Bleibt zum Schluss noch ein wichtiger Aspekt: Politik, erst recht Feierabendpolitik als Hobby, muss auch Spaß machen. Die FI Nottuln achtet darauf, Aktionsformen und Veranstaltungsformen zu finden, die auch für die eigene Befindlichkeit etwas tun. Veranstaltungen müssen nicht nur trocken im Hinterzimmer einer Kneipe stattfinden – ein gemütlich hergerichteter Raum, Getränke, ein kulturelles Rahmenprogramm haben nicht zu unterschätzende Wirkungen. Polit-Fahrten – jeweils im Herbst – werden mit einem touristischen und kulturellen Teil durchgeführt und stärken das Gemeinschaftsgefühl. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Politik muss auch Erlebnis sein.
PAX weiter an!
Oft wird die FI Nottuln wegen ihrer beispielhaften Arbeit gelobt, wird erwähnt, dass dies die Initiative ist, die (noch) mit großer Resonanz arbeitet (Mani Stenner vom Netzwerk Friedenskooperative: „Parade-FI“). Natürlich freuen wir uns darüber, sind auch ein Stückchen stolz. Lieber wäre es uns allerdings, wir wären umgeben von vielen weiteren lokalen Friedensgruppen, die ähnlich schwungvoll, mit vielen engagierten Leuten arbeiten. Das würde noch einmal zusätzliche Motivation für unsere Arbeit bringen und den Resonanzboden unserer Arbeit verstärken. Mittlerweile hat die FI in der neu gegründeten Organistaion Dülmener Friedensfreunde (DFF) tatkräftige Unterstützung gefunden. Oft sind die Dülmener, allen voran Michael Stiels-Glenn, auch die Zugpferde der Region. So können wir weitermachen. Es gibt noch viel zu tun! Also auf geht’s! PAX an!