„Tax the Rich! Lesung und Vortrag mit Till Kellerhoff
Nottuln. „Wir können uns die Superreichen nicht mehr leisten!“ Das wurde am Montagabend beim Vortrag der VHS Coesfeld und der Friedensinitiative Nottuln im Forum des Rupert-Neudeck-Gymnasiums deutlich. Dort wurde die Reihe „Lust auf Zukunft!“ fortgesetzt. 70 Bürgerinnen und Bürger interessierte sich für den Vortrag „Tax the Rich!“. Und sie wurden auf der Suche nach einer positiven Vision für eine zukunftsfähige Entwicklung nicht enttäuscht. Der Referent, Till Kellerhoff, Mitglied des legendären Club of Rome, wusste Mut zu machen.
“Wenn wir es hinbekommen, dass Ökonomie, Ökologie und Soziales integrale Bestandteile der notwendigen Transformation unserer Gesellschaft sind, dann können wir die schlimmsten Folgen der schon beginnenden Klimakatastrophe abwenden und gleichzeitig viele andere Probleme wie Armut, Hunger, Flucht, Gewalt und Kriege lösen!“ Dabei verwies der Ökonom auf frühere konservative Politiker wie Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, die vor Jahrzehnten diesen Ansatz berücksichtigten. So schuf der erste Bundeskanzler 1952 einen gewaltigen Lastenausgleich – eine Umverteilung von Vermögen im Wert von 42 Milliarden D-Mark. Das waren 60 % des Bruttoinlandproduktes (BIP). Die, die im Krieg alles verloren hatten, wurden unterstützt von denjenigen, die noch einen Teil ihres Reichtums behalten konnten. Adenauer: „Das Streben nach Linderung der Not, nach sozialer Gerechtigkeit, wird der oberste Leitstern bei unserer gemeinsamen Arbeit sein!“ Ein Satz, der heute in der Politik gebraucht werden würde. Warum? Nur wenige Zahlen aus Deutschland: 10 % der Bundesbürger besitzen mehr als 60 % des Vermögens. 40 % haben gar kein Vermögen. In der Regel wird dabei der Reichtum nicht erarbeitet, sondern vererbt. Deutschland steht dabei auf Platz 4 der Liste der europäischen Länder, die extrem ungleich sind.
1 % der Menschen (die absolut reichsten) emittieren pro Jahr 83,3 Tonnen CO2 pro Kopf. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung emittiert nur 5,4 Tonnen. Die Ungleichheit, das zeigten Studien, so der Referent, reduziert maßgeblich das Vertrauen in die Politik und in die Zukunft. Sie ist ein bedeutender Faktor geworden bei gesellschaftlichen Verwerfungen. Dass die AfD so stark ist, hätte hiermit zu tun. Auch dies zeigen sozialwissenschaftliche Forschungen. Nun solle Deutschland bis 2024 klimaneutral werden. Dabei seien die Deutschen auf einen guten Weg – im Vergleich zu anderen Ländern. Aber das Ziel sei noch weit. Es gäbe einen riesigen Investitionsstau. Auch das seien Schulden – in die Zukunft projiziert. Pro Jahr müssten 85 Milliarden Euro aufgebracht werden, um Deutschland für die Zukunft fit zu machen. Dazu gäbe es keine Alternative. So hätte das Potsdamer Institut für Klimaforschung errechnet, dass 2045 – sollten diese Investitionen nicht getätigt werden – die Klimaschäden pro Jahr 20 % des BIP betragen würden. Kellerhoff: „Das Positive: Mittlerweile gibt es viele Wissenschaftler, die rechnen, und politische Räume, die über eine größere Besteuerung von Supervermögende nachdenken.“ Eine Vermögenssteuer könnte so aussehen: Ab einer Million mit niedrigem Einstieg, progressiv gesteigert, Ausklammerung von selbstgenutztem Wohneigentum und Altersvorsorge. Dies würde jährliche Einnahmen in Deutschland von 85 Milliarden Euro bedeuten. Für die EU jedes Jahr 285,6 Milliarden Euro. Auch auf dem G 20-Treffen würde schon über eine globale Mindeststeuer von 2 % für Milliardäre nachgedacht. Das Ergebnis: jährlich 250 Milliarden Euro, gezahlt von nur 3000 Menschen. Kellerhoff zum Schluss: Klimawandel und ökonomische und gesellschaftliche Ungleichheiten sind von Menschen gemacht und können so auch von Menschen geändert werden. Nehmen Sie Einfluss auf die Politik! Informieren Sie sich bei der Bürgerbewegung `Finanzwende´ oder dem Netzwerk `Steuergerechtigkeit´!“
Am Ende des Abends vereinbarten FI und Referent einen weiteren Termin im nächsten Jahr. Der langanhaltende Applaus zeigte: Viele Teilnehmer des Abends werden wiederkommen.
Klimaschutz
Staatswissenschafter: „Zeit, dass die, die den Klimawandel in erster Linie verantworten, auch für die Reparatur bezahlen!“
Nottuln. „Würden Reiche höher besteuert werden, ließen sich global hunderte Milliarden Euro für den Klimaschutz einsetzen“, sagt der deutsche Staatswissenschafter Till Kellerhoff. Till Kellerhoff ist der Programmdirektor der Organisation Club of Rome, die ihren Sitz in der Schweiz hat. Dort leitet er den Reclaiming Economics Impact Hub. Seit 2021 ist er zudem globaler Koordinator für Earth4All, einer internationalen Initiative, die laut eigenen Angaben versucht, einen Systemwandel zu beschleunigen, um eine gerechte Zukunft auf einem begrenzten Planeten zu ermöglichen. Ende März 2024 veröffentlichte Kellerhoff gemeinsam mit dem norwegischen Zukunftsforscher Jørgen Randers das Buch „Tax the Rich: Warum die Reichen zahlen müssen, wenn wir die Welt retten wollen.“ Mit diesem Buch kommt Kellerhoff am Montag, den 18.11. um 19.30 Uhr nach Nottuln ins Forum des Rupert-Neudeck-Gymnasiums. Eingeladen wurde er von der VHS Coesfeld und von der Friedensinitiative Nottuln (FI), die mit diesem Abend ihre Reihe „Lust auf Zukunft“ fortsetzen. Alle Bürgerinnen und Bürger sind dazu eingeladen. Der Beitrag beträgt 5 Euro.
Der Wissenschaftler erklärt seinen Ansatz ganz einfach: „Stell dir vor, dein Nachbar fährt eine Delle in dein Auto. Wer ist dafür verantwortlich, dass der Schaden bezahlt wird, du oder er? Na klar: immer der, der’s kaputt gemacht hat! Wie kann es sein, dass wir überall nach dieser Logik leben, nur nicht, wenn es um die Basis unseres Überlebens geht?“
Die reichsten zehn Prozent der Menschheit profitierten nicht nur am meisten von unserem Wirtschaftssystem, so Kellerhoff. Sie seien auch für über die Hälfte des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Zeit, für die Reparatur des Schadens zu zahlen und die bestehende soziale Ungerechtigkeit zu entschärfen. Die Vorschläge von Jørgen Randers und Till Kellerhoff sind simpel: die (Wieder-)Einführung einer Vermögenssteuer, eine konsequentere Erbschaftssteuer und eine globale Steuer für Unternehmen. Dabei gehe es nicht um das Erbe von Omas kleinem Haus im Schwarzwald. Es gehe um Millionäre, denen es nicht wehtun würde, ein paar Prozent mehr Steuern zu zahlen für das wichtigste Projekt dieses Zeitalters: die Rettung unserer Lebensgrundlagen. Der Abend – so die FI – werde wie das Buch – provokant, direkt und offensiv. Ideale Voraussetzungen für eine kontroverse Diskussion.
Foto: Kommt nach Nottuln: Der Staatswissenschaftler Till Kellerhoff mit seinem provokanten Buch: „Tax the Rich!“