Liederabend der FI im kath. Pfarrheim
Nottuln. „Ich hatte nicht gewusst, dass Weihnachtslieder solche Schmerzen bereiten können.“ Weihnachten 1943 fiel dieser Satz. Im Frauen-Konzentrationslager Birkenau. Immer wieder wurden in den KZs auch gesungen und Musik gemacht. Auch um sich am Leben zu halten. Szymon Laks, zeitweise der Leiter des Birkenauer Männerorchesters beschrieb einen erfolglosen Versuch, den Kranken ein paar tröstliche Lieder zu spielen: „Nach ein paar Takten ist von überall leises Weinen zu hören, das lauter wird, je weiter wir spielen. Unser Orchester muss abbrechen. Die Stimmen werden laut, schreien jetzt: Genug, Aufhören. Lasst uns in Ruhe krepieren!“
Ein berührendes Gedenken an die Verfolgten des Nationalsozialismus (NS) fand am Volkstrauertag nachmittags im Katholischen Pfarrheim statt. Die Friedensinitiative Nottuln (FI) hatte zwei junge Musiker, Jonas Hölting und Tassilo Rinecker aus Köln und Münster, eingeladen. Mit dem Titel „Träumen von der Freiheit“ spielten und sangen sie Lieder der Verfolgten. Musik im Konzentrationslager, das war Ablenkung, Motivation weiterzuleben und auch Identifikation und Solidarität mit allen Gefangenen im Lager. „Dieser scheinbare Gegensatz“, so Jonas Hölting, „hier Lieder, die für Vergnügen und Frieden stehen, dort die Verfolgung, die fast immer auch schweres Leiden und Tod bedeuteten, dieser Gegensatz wurde in den KZs aufgehoben“. Hölting weiter: „Bisweilen wurde bis in die Gaskammern von Auschwitz-Birkenau gesungen.“ Ein Satz, der einem den Atem stocken lässt. Tassilo Rinecker: „Wir wollen mit diesem Programm eine positive Erinnerungskultur anregen – nicht nur über Tod und Krieg reden.“ Sie hätten deshalb auch die Liedzeile „Träumen von der Freiheit“ nicht ohne Grund zum Titel ihres Programms und ihres Buches gewählt. Bei allem Leid und Leiden sei der Drang nach Freiheit, nach Weite charakteristisch für viele Lieder damals gewesen. Die beiden Musiker – exzellent auf ihren Instrumenten (Gitarren, Geige, Percussion, Gesang) – trugen auch Lieder aus dem Widerstand gegen den NS vor. So aus der bündischen Jugendbewegung, die nicht organisiert war und gegen die traditionellen nationalistischen Tendenzen in Elternhaus, Schule und Hitlerjugend aufbegehrten. Ein Bericht des Reichmusikkammer-Referenten Scheffler an Propagandaminister Göbbels zeigt, welche Gefahren das NS-Regime in diesen jugendlichen Bestrebungen sah: „Es handelt sich hier z.T. um degenerierte und kriminell veranlagte, auch mischblütige Jugendliche, die sich zu Cliquen bzw. musikalischen Gangster-Banden zusammengeschlossen haben und die gesund empfindende Bevölkerung durch die Art ihres Auftretens und die Würdelosigkeit ihrer musikalischen Exzesse terrorisieren.“ Gleich mehrere Zugaben mussten die beiden Musiker singen. Zum Schluss das Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen.“ Ursprünglich ein Gedicht des Theologen Dietrich Bonhoeffer, der kurz vor Kriegsende im KZ Flossenbürg ermordet wurde. Es ist der letzte Text des Christen, dessen unerschütterliche Widerstandskraft vielen anderen Verfolgten im NS Mut machte. Damit ging ein leiser und bewegender Nachmittag zu Ende, der – so Udo Hegemann, FI Nottuln – im Zurückschauen auf das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte wichtige Lehren für alle hier und heute hat. Ein kurzes Gespräch folgte. Eine Stimme dazu: „Wir müssen uns angesichts der Entwicklungen in der Welt und in Deutschland große Sorgen machen. Da ist es gut zu wissen, dass es immer auch Menschen gibt, die Mut machen können. Hoffen wir, dass es die auch gibt, wenn wir in schwere Wasser geraten!“
Volkstrauertag-Konzert im katholischen Pfarrheim
„Lieder der Verfolgten“ präsentieren am Volkstrauertag-Sonntag, den 17.11.2024 um 17 Uhr im Katholischen Pfarrheim Jonas Höltig und Tassilo Rinecker. Dazu lädt die Friedensinitiative Nottuln (FI) alle Bürgerinnen und Bürger ein. Der Eintritt beträgt 5 Euro.
Die beiden jungen Musiker spielen Lieder von Juden, Sinti und Roma, Jugendbewegungen, politisch Verfolgten, Zeugen Jehovas sowie in Konzentrationslagern entstandene Lieder. Dabei wird ein Fokus darauf gelegt, welche Bedeutung Musik für die Verfolgten hatte – aber auch darauf, was wir aus den Geschichten und Liedern heute, während Antisemitismus und antidemokratische Gesellschaftsformen weltweit auf dem Vormarsch sind, lernen können.
Jonas Höltig und Tassilo Rinecker erzählen die packenden, traurigen und hoffnungsvollen Geschichten der Lieder und ihrer Komponisten. Dadurch findet eine bewegende Auseinandersetzung mit der individuellen Verfolgung statt.
Die Künstler lernten sich während ihres Studiums in Münster kennen. Sie machen seit mehreren Jahren gemeinsam programmatische Musik. Durch das Singen von Liedern von Verfolgten und das Erzählen ihrer Geschichte wollen sie der Opfer des Nationalsozialismus gedenken und zu einer positiven Erinnerungskultur beitragen. www.fi-nottuln.de
Foto: Vor fünf Jahren gastierten die beiden jungen Musiker schon mal in Nottuln und berührten die Zuhörer mit ihren Liedern der Verfolgten des NS-Regimes.